„Business-Tinder“ für die Mittagspause

Ob Mystery Lunch oder Lunch-Roulette: Mit einer Software bringen Unternehmen Mitarbeiter zufällig mit unbekannten Kollegen zum Mittagessen an einen Tisch. Ums Flirten geht es hier aber nicht.

Wattens, Wien, München, Berlin, Telfs - Alleine neben dem Laptop das To-go-ThaiCurry in sich hineinstopfen, immer mit dem gleichen Kollegen in der Kantine das gefühlt hundertste Mal bei aufgewärmtem Nudelauflauf über dasselbe sprechen: Wem das bekannt vorkommt, der wird die Idee für ein Blind Date in der Mittagspause lieben. Aber gleich vorweg: Ums Flirten geht es hier nicht.

Mithilfe einer Software werden vorher nicht bekannte Kollegen zufällig miteinander zu einem gemeinsamen Mittagessen eingeladen. Das Prinzip dahinter ist so simpel wie das Konzept selbst: Mitarbeiter melden sich auf einer Plattform an und erhalten vom Algorithmus per E-Mail oder Outlook für den gewünschten Tag einen firmeninternen Essenspartner zugelost, möglichst aus einer anderen Abteilung. Und die Effekte einer solchen zufälligen Begegnung gehen oftmals weiter, als so manch einer vermuten würde: von neu entstandenen Projekten, neuen Ideen, mehr Austausch zwischen den Unternehmensbereichen, besserem und schnellerem Arbeiten oder aber Mitarbeitern, die kündigen wollten, dann aber einfach die Abteilung gewechselt haben. "Wir hatten auch schon Fälle, wo Projekte wieder eingestellt wurden, weil man sie an zwei verschiedenen Stellen entwickelt hat", erklärt Christoph Drebes. Drebes ist Gründer und Geschäftsführer von Mystery Minds, einem Softwareentwickler u. a. für Business Blind Dates mit Sitz in Wien und München.

Diese Jobs könnten für Sie interessant sein:

Jobs im Großaum Innsbruck
Neueste offene Stellen in Tirol

Mit dieser zufälligen Vernetzung komme man auf Sachen, mit denen man vorher nicht gerechnet habe, ergänzt der Gründer. "Und das wird natürlich gefördert, wenn man die Leute zufällig zusammenbringt", so Drebes. Die Idee für das 2016 gegründete Start-up entwickelten Christoph Drebes und sein Mitgründer Stefan Melbinger, wie sollte es auch anders sein, bei einem Mittagessen. "Wir arbeiteten damals in unterschiedlichen Abteilungen bei einem Telekommunikationsunternehmen, tauschten uns immer wieder beim Lunch aus und stellten die positiven Folgeeffekte für die eigene Arbeit fest", erinnert sich der Münchner. Wenn der damalige Marketingangestellte etwas aus der IT benötigte, rief er einfach seinen Lunch-Kollegen an. "Das tat keiner der anderen Mitarbeiter und so überlegten wir uns, wie man dieses Netzwerk allen Kollegen ermöglichen könnte", ergänzt Drebes.

Und das Blind Date in der Mittagspause gefällt weltweit: sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern. Das Tiroler Familienunternehmen Swarovski etwa hat das Format Lunch-Roulette bereits an einigen Standorten getestet. Mit dem Ergebnis, dass dieses Angebot zu besserer Vernetzung und Austausch über Abteilungsgrenzen hinweg geführt hat. "Im Jahr 2019 haben über 3500 Mitarbeiter ihre Mittagspause mit Kollegen verbracht, mit denen sie das sonst vermutlich nicht - oder nicht in dem Maße - gemacht hätten", heißt es von Seiten Swarovskis. Dass von der Software initiiertes Kennenlernen in der Businesswelt gut ankommt, zeigt sich zudem auch darin, dass Mystery Lunch auf dem deutschsprachigen Markt schnell Konkurrenz bekommen hat: etwa durch Lunchzeit, Lunch-O-Mat oder Tandemploy.

"In der Kollaboration zwischen zwei oder mehr Menschen liegt einfach ein unglaubliches Potenzial."

Für die Tandemploy-Gründerin Jana Tepe steckt hinter dem softwarebasierten Konzept, Kollegen innerhalb von Firmen zielgerichtet zu vernetzen, indes noch viel mehr. "In der Kollaboration zwischen zwei oder mehr Menschen liegt einfach ein unglaubliches Potenzial, sich von klassischen Strukturen und dem fixen Stellendenken zu lösen", sagt Tepe. Denn: Arbeit lasse sich auch anders organisieren, der Status quo könne und müsse hinterfragt werden, findet die Berliner Gründerin.

Aber: Was auch immer hinter dem Konzept eines Blind Date für die Mittagspause stecken mag, der eigentliche Zweck dieser obligatorischen Pause sollte nicht vergessen werden. Wie zahlreiche Studien, auch die Step­stone-Umfrage von 2019 (siehe Artikel unten), belegen, sind Pausen unverzichtbar für Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Trotzdem verschenken 36 Prozent der Österreicher diese Pause gänzlich oder verkürzen sie wegen zu viel Arbeitsstress. Mitunter deshalb werden Angebote wie Mystery Lunch oder Lunch-Roulette auch kritisch beäugt, so etwa von der Arbeitspsychologin Cornelia Schallhart: "Generell sollten die Pausen vor allem der Erholung dienen und nicht auch noch fürs Brainstorming genützt werden." Dafür sollte es ihrer Ansicht nach andere Möglichkeiten geben.

Darüber hinaus birgt das Konzept möglicherweise die Gefahr von sozialem Druck. Dass Freiwilligkeit bei derartigen Angeboten unbedingt gewahrt sein muss, unter­streicht die Psychologin: "Nur jene sollten teilnehmen, die gerne neue Kontakte knüpfen, doch denen fällt das Aufeinander-Zugehen sowieso leichter, auch ohne Lunch-Roulette." Introvertierte würden sich wahrscheinlich weniger darauf einlassen, sagt sie. Gerade deswegen ist die Anonymität der teilnehmenden Mitarbeiter hier unumgänglich. Damit Arbeitgeber nicht kontrollieren können, wer mit wem gut oder nicht gut könne, oder vielleicht auf die Idee kommen, einen Output aus diesen Treffen zu fordern, so Schallhart. Ob man letztlich beim Lunch-Roulette gewinnt, bleibt ein Glücksspiel.

Von Nina Zacke, erschienen am 11.01.2020 in der Tiroler Tageszeitung

Diese Blog-Artikel könnten Sie auch interessieren:

Wer gut schläft, ist im Job kreativer
Die Mittagspause ernst nehmen

Auf jobs.tt.com finden Sie die aktuellsten Stelleninserate:
Neueste offene Jobs in Tirol anzeigen

Job-Blog Mehr Artikel

Alle Infos zu Bewerbungsunterlagen und Bewerbungsgespräch

Auf jobs.tt.com gibt es zahlreiche Blogartikel mit wichtigen Informationen rund um die Themen Bewerbungsunterlagen und Bewerbungsgespräch. Hier sind sie alle zusammengefasst.

Alle Infos zur Gehaltsverhandlung

Auf jobs.tt.com gibt es zahlreiche Blogartikel mit wichtigen Informationen rund ums die Thema Gehaltsverhandlung. Hier sind sie alle zusammengefasst.

Wie WenDo Frauen im Beruf stärkt

Mut, Stimme, Haltung: WenDo ist mehr als Selbstverteidigung. Im Interview erklären Trainerin Derya Nonnato und die Teilnehmerin Ilvy, wie das Training Frauen nicht nur im Alltag, sondern auch in ihrer Karriere unterstützt.

Job-Blog Mehr Artikel

Wie WenDo Frauen im Beruf stärkt

Mut, Stimme, Haltung: WenDo ist mehr als Selbstverteidigung. Im Interview erklären Trainerin Derya Nonnato und die Teilnehmerin Ilvy, wie das Training Frauen nicht nur im Alltag, sondern auch in ihrer Karriere unterstützt.

Lebenslanges Lernen ist mehr denn je Normalität

"Learning by Doing" mit "Training on the Job"

Karriereknick nach der Babypause

Der Wiedereinstieg nach der Karenz bleibt ein Balanceakt zwischen Familie und Job. Mit gezielten Programmen und Kursen will das AMS Tirol Frauen stärken und Betriebe zum Umdenken bewegen.

„Duale Ausbildung ist unverzichtbar“

Die Lehre ist ein essenzieller Bestandteil des Arbeitsmarktes und sie entwickelt sich ständig weiter, um den zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden, meint WK-Fachkräftekooridator David Narr.

„Weiterbildung in den Fokus rücken“

Die repräsentative Studie „Weiterbildung in Österreich 2025“ zeigt aktuelle Trends in der Weiterbildungslandschaft und soll Orientierung für Personalverantwortliche liefern.

Jobwechsel überzeugen, wenn sie Sinn ergeben

Nicht die Anzahl der Jobs entscheidet über einen guten Eindruck, sondern wie jede Station zum Gesamtbild beiträgt.

Durchstarten mit 50 plus möglich

Hans-Georg Willmann ist Autor des Buches „Durchstarten mit 50 plus“ und spricht im Interview mit der Tiroler Tageszeitung über einen beruflichen Neuanfang in der zweiten Lebenshälfte.