ExpertInnen aus Erfahrung

Die Etablierung von Peers als neue Berufsgruppe im Sozialbereich ist herausfordernd, aber sinnvoll: Sie verändern Menschen und Organisationen zum Positiven.

Innsbruck – Elmar Kennerth wurde eine bipolare Erkrankung diagnostiziert. Sein soziales Gefüge glitt aus den Fugen. Dazu musste er berufliche Rückschläge hinnehmen. Seitdem hat er aber auch Erfolge gefeiert, die ausgerechnet mit seiner Erkrankung zu tun haben. „Ich habe den Mut gefasst, mich als Peer neu zu erfinden“, sagt er.

Peer-Arbeit bezeichnet Tätigkeiten, die auf der Unterstützung durch Gleichgesinnte beruhen. Peers setzen Erfahrungswissen ein, um Menschen in ähnlichen Situationen, etwa bei psychischen Krisen oder Wohnungslosigkeit, zu unterstützen und Bewältigungsstrategien zu vermitteln. „In Großbritannien und Skandinavien arbeiten Peers seit den 1990er-Jahrenals Ergänzung zu Sozialarbeitenden, PsychologInnen und anderen Professionen im psychosozialen Bereich“, erklärt Christina Lienhart vom Department Soziale Arbeit am MCI.

Die Expertin befürwortet das: nicht nur, weil die Zusammenarbeit von Professionellen und Menschen mit Erfahrungswissen einen Perspektivenwandel anregen und so zu Verbesserungen für die KlientInnen führen kann, sondern auch, weil die Peers selbst von ehemals Hilfesuchenden und Stigmatisierten zu Helfenden werden, die ihre Erfahrungen monetisieren können. „Mit der Etablierung von Peers wird ein sinnmachender Job für beide Seiten geschaffen“, sagt Lienhart. „Erfahrungen allein reichen aber nicht, um als Peer zu arbeiten.“ In Tirol wurden Peers bisher im Rahmen des EX-IN-Programms ausgebildet, welches auf reflektiertem Erfahrungswissen aufbaut und Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung zur Mitarbeit in psychiatrischen und psychosozialen Einrichtungen qualifiziert. 2023 kam mit dem vom Landgeförderten Peer-Lehrgang der Organisation lilawohnt eine neue Ausbildungsschiene dazu, die sich speziell an wohnungslose Frauen richtet.

 


Peer-Arbeit: Eine innovative Unterstützungsmethode, die auf Erfahrungswissen basiert und Menschen in Krisensituationen neue Perspektiven bietet.
 

Für die Implementierung flächendeckender Peer-Arbeit in Österreich brauche es noch entsprechende Strukturen, so Lienhart. Aktuell werden sowohl Einsatzgebiete, Entlohnung als auch Qualifizierung in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Nur Oberösterreich hat Peers als eigene Berufsgruppe in das Sozialberufegesetz aufgenommen. In Tirol werden Peers im stationären Bereich über die jeweiligen Krankenanstaltenträger oder den Landesgesundheitsfonds angestellt und finanziert, im mobilen Bereich über die zuständigen Träger psychosozialer Dienste, den Sozialfonds oder das Land. Grundsätzlich sieht die UN-Behindertenrechtskonvention Peer-Support im Artikel 26 ausdrücklich vor. Dass sich dahingehend etwas tut, zeigt die Stadt Innsbruck, welche die erste Peer-Beraterin bei lilawohnt finanziert. „Wir sind von der Wirksamkeit des Peer-Ansatzes überzeugt“, sagt Vizebürgermeister Georg Willi. „Dass die Peer-Beratung in den 3-Jahres-Vertrag mit lilawohnt aufgenommen wurde, ist ein entscheidender Schritt zur langfristigen Absicherung dieser wichtigen Arbeit.“ Wie herausfordernd die Aufnahme einer neuen Berufsgruppe ist, schildert lilawohnt-Geschäftsführerin Julia Schratz: „Die Stelle ist noch in Entwicklung, das ganze Team ist am Lernen.“ Es gebe viele Fragen zu klären– etwa über die Art der Tätigkeiten, ab wann die Peer alleine arbeiten kann oder den Zugang zum Dokusystem. Mut und Bereitschaft, eingefahrene Muster und paternalistische Strukturen aufzubrechen, sei da. Das Konzept gehe schon jetzt auf: „Unsere Peer weckt Ressourcen in anderen Klientinnen. Sie motiviert und stärkt ganz anders als Sozialarbeiterinnen.“ lilawohnt wolle nicht mehr nur Lobby sein, sondern eine Plattform schaffen, damit die Klientinnen für sich selber sprechen können. „Wir wollen durch die Einbindung von Peers Betroffene zu Beteiligten machen“, sagt Schratz.

So auch Elmar Kennerth. Nach sechs Jahren als Genesungsbegleiter bei start pro mente ist er heute Geschäftsführer des Tiroler Interessenverbandes für psychosoziale Inklusion. Er leitet das vom MCI wissenschaftlich begleitete Projekt PeerCom, im Rahmen dessen ab April Menschen mit psychosozialen Problemlagen oder psychischen Erkrankungen bei Gängen zu Behörden oder Gesundheitseinrichtungen kostenlos von Peers begleitet werden.

Das Wichtigste aus dem Artikel: 

Unterstützung durch Gleichgesinnte: Peer-Arbeit basiert auf der Unterstützung durch Menschen mit ähnlichen Erfahrungen, um in Krisensituationen zu helfen und Bewältigungsstrategien zu vermitteln.

Innovative Ausbildung: Programme wie EX-IN und der Peer-Lehrgang von lilawohnt bieten spezialisierte Schulungen, die auf reflektiertem Erfahrungswissen aufbauen und Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung qualifizieren.

Vielseitige Einsatzmöglichkeiten: Peers arbeiten in psychosozialen Einrichtungen, unterstützen bei Behördengängen oder in der Wohnungslosenhilfe und bieten neue Perspektiven in sozialen Berufen.

Erschienen am 01.03.2025 in der Tiroler Tageszeitung

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