Jenseits von Barrieren denken

„Jeder Mensch hat Talente und verdient die Chance, sie einzubringen“, sagt Vera Sokol, Geschäftsführerin von innovia. Das Unternehmen arbeitet seit 18 Jahren daran, diese Überzeugung in die Praxis umzusetzen.

Innsbruck – Inklusion ist kein Selbstläufer: Unternehmen müssen oft Hemmschwellen überwinden, um Menschen mit Behinderungen einzustellen. Vera Sokol, Geschäftsführerin von innovia, sieht zwar eine wachsende Offenheit, aber auch weiterhin Unsicherheiten in der Wirtschaft. „Viele Unternehmen wissen nicht, wie sie Menschen mit Behinderung in ihre Teams integrieren können und die Bedenken sind oft groß“, erklärt Sokol. Mit dem von der Tiroler Landesregierung geförderten Programm „mittendrin Autismus“ geht innovia gezielt auf diese Herausforderungen ein.

Das Angebot richtet sich an Menschen mit Autismusdiagnose, die erhöhte Unterstützung benötigen, um langfristig in der Arbeitswelt Fuß zu fassen. Die Maßnahmen reichen von Sensibilisierungsschulungen für Teams und Vorgesetzte über eine persönliche Assistenz bis hin zur finanziellen Förderung durch Lohnkostenzuschüsse. „Es ist uns wichtig, dass die Unterstützung bedarfsorientiert und unbefristet bleibt. Jede Person und jedes Unternehmen hat unterschiedliche Bedürfnisse“, so Sokol.

Ein Schlüssel zum Erfolg liege im Mentoring: Unternehmen benennen interne Ansprechpersonen, die als Bindeglied zwischen Team und Arbeitnehmer mit Autismusdiagnose fungieren. Diese erhalten nicht nur Schulungen – ihre Arbeitszeit wird auch durch Zuschüsse kompensiert. „Das Ziel ist eine langfristige Zusammenarbeit, von der beide Seiten profitieren. Viele Unternehmen berichten uns von einer positiven Veränderung der Teamkultur“, betont Sokol.

Die Integration von Menschen mit Behinderungen sei dabei weniger von der Branche als von der Unternehmenskultur und den Verantwortlichen abhängig. Oft scheitere es bereits am Bewerbungsprozess, da Stellenanzeigen so formuliert sind, dass sich Menschen mit Behinderungen nicht angesprochen fühlen. Hier gelte es, Hürden abzubauen und inklusive Formulierungen zu wählen, um alle Zielgruppen zu erreichen.

Beispiele aus der Praxis

Die Erfolge von „mittendrin Autismus“ zeigen, wie durchgezielte Unterstützung nicht nur Menschen mit Autismusdiagnose, sondern auch Unternehmen profitieren können. Sokol nennt als Beispiel einen hochintelligenten Arbeitnehmer, der über Jahre hinweg keine langfristige Anstellung finden konnte. Denn seine Autismusdiagnose führte immer wieder zu Herausforderungen in der Kommunikation und schließlich zum Verlust des Arbeitsplatzes. „Im Rahmen unserer Fördermaßnahmen erhielt er nicht nur eine unbefristete Begleitung, sondern auch eine bedarfsorientierte persönliche Assistenz und ein Mentoring im Unternehmen“, erklärt Vera Sokol. So konnten Kommunikationsprobleme und Krisen direkt bearbeitet und Lösungen gefunden werden, die die Zusammenarbeit stabilisierten. Heute ist der Mitarbeiter seit drei Jahren erfolgreich in seinem Betrieb tätig – zur großen Zufriedenheit aller Beteiligten.


Inklusion verändert nicht nur den Arbeitsplatz, sondern auch das gesellschaftliche Bild von Vielfalt.
 

Eine weitere persönliche Erfolgsgeschichte verdeutlicht, wie gezielt auf individuelle Karrierewünsche eingegangen werden kann: Eine Frau mit Autismusdiagnose, die unbedingt Kosmetikerin werden wollte, scheiterte mehrfach am Bewerbungsprozess und an Vorbehalten der Arbeitgebenden. innovia ermöglichte es, den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass sowohl die Fähigkeiten der Arbeitnehmerin als auch die Anforderungen des Unternehmens berücksichtigt wurden. „Ihr Traum konnte wahr werden, weil wir das Arbeitsumfeld angepasst und eine langfristige Begleitung sichergestellt haben. Das Unternehmen weiß, dass bei Herausforderungen sofort Unterstützung verfügbar ist“, erläutert Sokol.

Vielfalt als Chance

Obwohl die Inklusion in der Arbeitswelt laut Sokol Fortschritte macht, sieht sie noch Handlungsbedarf. „Unternehmen müssen verstehen, dass Behinderung nicht auf den Rollstuhl oder das Down-Syndrom reduziert werden kann. Viele Behinderungen, wie psychische oder chronische Erkrankungen, sind unsichtbar. Das Wissen darüber fehlt oft“, sagt sie. Besonders hervorzuheben sei die Rolle von Vorbildern, sowohl auf individueller als auch auf Unternehmensebene.

innovia selbst lebt diese Philosophie: Rund 20 Prozent der Belegschaft sind Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen auf allen Ebenen. „Wir wollen zeigen, dass Inklusion machbar ist– und dass sie Bereicherung bedeutet“, erklärt Sokol.

Das Wichtigste aus dem Artikel: 

Inklusion am Arbeitsplatz: Das Programm „mittendrin Autismus“ von innovia bietet gezielte Unterstützung für Menschen mit Autismusdiagnose, einschließlich Sensibilisierungsschulungen, persönlicher Assistenz und finanzieller Förderung.

Erfolgsbeispiele und individuelle Unterstützung: Durch gezielte Unterstützung können sowohl Menschen mit Autismusdiagnose als auch Unternehmen profitieren.

Vielfalt als Chance: Inklusion in der Arbeitswelt macht Fortschritte, aber es besteht weiterhin Handlungsbedarf, welchen es aus unternehmerischer Seite zu erkennen gilt.

Von Natalie Hagleitner, erschienen am 30.11.2024 in der Tiroler Tageszeitung

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